04. November 2024© Marta Thor
Der Neuanfang
Für Uwe Sieben ist es ein Neuanfang - mit 51. Eigentlich hätte er bei der gpe schon in Rente gehen können, denn nach 20 Jahren Werkstattarbeit ist Schluss. Doch dann bekommt er unverhofft die Chance auf einen Außenarbeitsplatz in der Zahnarztpraxis Melzer in Ingelheim. Für Sieben eröffnet sich damit eine neue Lebensperspektive. Und nach anfänglicher Skepsis auf beiden Seiten ist auch für die Praxis klar: „Herr Sieben ist Bestandteil des Teams. Wir freuen uns, dass er da ist.“
Uwe Sieben kam 1998 zur gpe und wurde zunächst in der Wäscherei eingesetzt. Er machte noch verschiedene Praktika in anderen gpe-Betrieben in Drais und Nieder-Olm, was ihm gut gefiel. Doch die meiste Zeit wusch, trocknete und sortierte er Wäsche. Dabei lag sein Interesse ganz woanders. „Ehrlich gesagt, wollte ich nur ein Praktikum machen und dann zum DRK. Am liebsten hätte ich ja Medizin studiert“, gesteht Sieben zurückhaltend.
Beim Sprechen schaut der Mann mit dem grau meliertem Dreitagebart meist auf seine Hände. Nur gelegentlich treffen seine wachen, braunen Augen verschmitzt den Blick des Gesprächspartners über den Brillenrand. Meist dann, wenn er etwas zu sagen hat. Zum Beispiel, was ihm der Außenarbeitsplatz in der Zahnarztpraxis neben mehr Geld und Verantwortung gebracht hat: „Meinem Kopf geht es besser.“
„Es war für uns und Herrn Sieben eine völlig neue Erfahrung. Aber nach nur zwei Tagen waren alle sehr angetan und per Du mit ihm“, berichtet die Zahnärztin Dr. Caroline Melzer. Woher diese Offenheit? „Durch das ehrliche Interesse von Herrn Sieben an der Arbeit und seine Fertigkeit“, sagt sie. Das sei heute nicht mehr selbstverständlich. Sieben habe sofort die Liste aller Instrumente mit Namen und Foto auswendig gelernt.
Als Technische Assistenz obliegt ihm eigenverantwortlich die Bereitstellung und Sterilisation der medizinischen Instrumente, er assistiert beim Abnehmen von Abdrücken für Implantate oder bei der Behandlung von Patienten und übernimmt Hausmeistertätigkeiten. Auch wenn Sieben nur fünf Stunden an fünf Tagen in der Woche da ist – in Melzers Praxis ist er der „Mann für alles“.
Mit Zug und Fahrrad reist Sieben zu seinem Arbeitsplatz aus Mainz an. Anfangs ein großer Stressfaktor. Doch mittlerweile strengt ihn die Anreise nicht mehr so sehr an. „Das Radfahren macht den Kopf frei.“ Anfangs habe er Angst gehabt, es nicht zu schaffen, gesteht Sieben. Dass er abbricht. Aber bisher sei solch eine Situation nicht eingetreten.
Die Eigenständigkeit, das Vertrauen und die Wertschätzung, die ihm von den Kolleginnen und Kollegen entgegengebracht wird, helfen ebenso beim Durchhalten wie die bessere Vergütung. Der Betrieb zahlt der Werkstatt einen monatlichen Beitrag, der mindestens dem des Werkstattlohns entsprechen muss. Dafür stellt die gpe fortlaufend eine pädagogische Unterstützung zur Verfügung.
Die Pädagogische Fachkraft Isabell Hevelke ist von Uwe Siebens Entwicklung beeindruckt - auch im Hinblick auf die vorbildliche Zusammenarbeit mit der Praxis: „Auf alles Ebenen respektvoll, offen und ehrlich.“ Man nehme zwar mehr Rücksicht auf Uwe Sieben, sagt Melzer, aber da er seine Arbeit so gewissenhaft verrichte, wisse sie, dass auf ihn Verlass sei.
Mittlerweile hat Sieben sogar einen „Work Bestie“, eine Kollegin, die ihn motiviert, auch an schlechten Tagen durchzuhalten oder ihn dazu anhält, etwas langsamer zu machen. Das hilft. Und trotzdem ist Uwe Sieben manchmal überrascht von sich selbst, dass er nun eine andere Arbeit hat, die ihn fordert und gefällt. Sobald er von den technischen Arbeitsschritten erzählt, taut er spürbar auf und fängt angeregt an, zu fachsimpeln. „Ich hätte nie gedacht, dass es an einem Arbeitsplatz so gut laufen kann.“